Leitfaden Erstgespräch

Wie bei allen Themen, die von den beteiligten Personen abhängen, gilt auch bei einem Erstgespräch, dass sich kein allgemeingültiger Prozess definieren lässt, den man abarbeiten kann. Jede*r Mitarbeiter*in in einer Ombudsstelle bringt unterschiedliche Herangehensweisen, Fähigkeiten und Ausbildungen mit, und jede Anfrage kann anders sein. Daher ist es wichtig einen Zugang zu Erstgesprächen zu finden, in dem man sich wohl fühlt und in dem man authentisch und glaubwürdig agieren kann. Dennoch gibt es einige wesentliche Aspekte, an denen man sich orientieren und mit deren Hilfe man eine individuelle Herangehensweise entwickeln kann. In diesem Sinne ist dieser Leitfaden zu interpretieren.

Dieser Leitfaden ist einerseits als Unterstützung für Ombudspersonen gedacht, andererseits aber auch als Information für Personen, die sich an Ombudsstellen wenden, um ein umfassenderes Verständnis für das Vorgehen von Ombudspersonen zu ermöglichen.

Aktives Zuhören

Aktives Zuhören zeichnet sich dadurch aus, dass man neben dem Inhalt auch auf die Tonlage, Körpersprache und Wortwahl des*der Gesprächspartner*in achtet. Dazu ist es wichtig, sich selbst bewusst zurückzunehmen und der Person, die sich an einen wendet die volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Specht und Penland (2016) geben sieben Tipps um sich im aktiven Zuhören zu schulen: (1) auf die Körpersprache des Gegenübers achten, (2) auf die eigene Körpersprache achten, (3) Ablenkungen vermeiden, (4) Zwischenfragen stellen, (5) Rechtfertigung vermeiden, auch wenn der*die Gesprächspartner*in die eigenen Ideen und Überzeugungen in Frage stellt, (6) Paraphrasieren, (7) Pausen vor den eigenen Antworten machen.

Fragen

Gezielte Nachfragen helfen uns Situationen besser zu verstehen und uns ein Bild vom vorgebrachten Anliegen zu verschaffen. Es gibt eine Reihe von Fragetechniken, um ein Gespräch gezielt zu führen. Um möglichst viel Informationen zu erhalten sind offene Fragen („wer“, „wie“, „was“, „welche(s)“, „warum“, wieso“, „wo“, „wohin“, usw.) wichtig (Justus-Liebig-Universität Giessen). Laut Kolodej (2019) und Kolodej und Proksch (persönliche Kommunikation 2022) gibt es eine Reihe von Fragetechniken mit denen man die Gesprächsführung gestalten kann.

  • Ziel und lösungsorientierte Fragen: Was ist Ihr Ziel? Was müssen Sie/Was müssen andere tun, damit Sie Ihr Ziel erreichen? Welche Kriterien müsste die Lösung erfüllen, damit sie für Sie eine gute Lösung darstellt?
  • Skalierungsfragen: Auf einer Skala von 0 bis 10, 0 heißt die Situation ist ganz fürchterlich, 10 sie ist einfach ideal, wo befinden Sie sich im Moment? Welchen Wert auf der Skala streben Sie an? Was müssten Sie tun um auf der Skala um einen Skalenwert höher zu gelangen?
  • Hypothetische Fragen: Angenommen dieses und jenes wäre bereits geschehen, was wäre dann an Ihrer Situation anders?
  • Ressourcenfragen: Haben Sie solch eine Situation schon einmal erlebt? Gibt es Menschen, die Ihnen helfen können?
  • Systemische Abschlussfrage: Gibt es noch etwas, dass ich Sie hätte fragen sollen? Ist Ihnen noch etwas wichtig, was wir noch nicht besprochen haben?

Mäeutik
Sokrates wird zugeschrieben, dass er die Hebammenkunst (Mäeutik) praktiziert hätte. Dabei habe er seine Mitmenschen in intensive Frage-Antworten-Gespräche verwickelt, mit dem Ziel die Erkenntnis zu fördern. Die Gesprächspartner*innen sollten durch gezielte Fragen dazu gebracht werden Dinge einzusehen (zu gebären), die bereits in ihnen stecken, die ihnen aber noch nicht bewusst sind. In Erstgesprächen geht es zwar nicht um philosophische Erkenntnisse, aber durchaus darum, durch gezielte Fragen die Gesprächspartner*innen dazu zu bringen, ihr konkretes Anliegen zu identifizieren und zu formulieren.

Mündliche Vereinbarung

Es ist im Regelfall hilfreich, das Erstgespräch mit einer Vereinbarung darüber abzuschließen, was die nächsten Schritte sein werden. Dabei kann man sowohl zusammenfassen, was man aus dem Gespräch mitnimmt und tun werde, als auch, was man von der Person, die das Anliegen einbringt, als nächste Schritte erwartet. Es kann beispielsweise sinnvoll sein, die Person zu bitten, die aus ihrer Sicht wesentlichen Eckdaten per Mail zu übermitteln. Ebenso kann man abschließend darauf hinweisen, dass man auf die Zusendung wichtiger Dokumente und Unterlagen warte, bevor man erste/weitere Schritte setzen könne.

Paraphrasieren

Paraphrasieren, also die Gedanken und Sätze anderer in eigenen Worten und auf den Punkt gebracht zusammenzufassen, ist nicht nur eine wesentliche Technik des wissenschaftlichen Arbeitens. Sie spielt auch in der Mediation und im aktiven Zuhören eine zentrale Rolle. Gezielt und gut eingesetztes Paraphrasieren ist aus unterschiedlichen Gründen wichtig. Einerseits signalisiert es dem*der Gesprächspartner*in, dass man seinen*ihren Ausführungen aktiv folgt. Andererseits lassen sich dadurch Missverständnisse vermeiden und man kann unmittelbar aufklären, ob man die Ausführungen richtig verstanden hat. Paraphrasieren ist nicht zuletzt deshalb so kraftvoll, weil man durch gezielte Formulierungen das Gespräch in gewisse Bahnen lenken kann. Insbesondere kann man Emotionen herausnehmen und durch die Formulierung in eigenen Worten auf die Sachebene gelangen.

Bsp. 1 (Dissertant beschwert sich über Betreuerin): „Meine Betreuerin ist so gemein, sie hackt immer nur auf mir herum und ist mit nichts zufrieden.“ — „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie den Eindruck, dass das Feedback, das Sie von Ihrer Betreuerin erhalten sachlich nicht gerechtfertigt ist und eine zu hohe Erwartungshaltung an Sie angesetzt wird?“

Bsp. 2 (Studierende beschwert sich über Projektpartner): „Tom möchte alles alleine machen. Er ist so ein Egoist und nimmt keine Rücksicht auf andere.“ — „Aus Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Sie sehr gerne intensiver im gemeinsamen Projekt involviert wären, sich stärker einbringen möchten und mehr Arbeitsaufgaben übernehmen wollen.“

Rolle
Wenn es sich nicht um ein bloßes Informationsanliegen handelt und eine weitere Tätigkeit der Ombudsstelle erforderlich ist, ist es wesentlich die Rolle der Ombudsstelle zu erläutern, um die Erwartungshaltung aller Beteiligten in einem realistischen Ausmaß zu halten. Erfahrungsgemäß ist eine Abgrenzung zur Tätigkeit der ÖH (gesetzlich verankerte Vertretung der Studierenden) und zu anwaltlicher Rechtsberatung wichtig.

Es ist häufig auch hilfreich nachzufragen, welche Personen und Stellen an der betroffenen Einrichtung bereits kontaktiert wurden.

Vertraulichkeit

An die Ombudsstelle herangetragene Informationen sowie die Identität der Anliegeneinbringer*innen werden von Ombudspersonen vertraulich behandelt. Ein Hinweis auf diese Vertraulichkeit im Zuge des Erstgesprächs ist häufig sinnvoll, um eventuell vorhandene Sorgen zu nehmen.

Darüber hinaus ist es wichtig, explizit zu vereinbaren, ob die betroffene Person ein Tätigwerden wünscht, auch wenn dies mit einem Verlust der Anonymität einhergeht, oder ob strenge Anonymität im Zuge des weiteren Vorgehens erforderlich ist. Dann empfiehlt sich der Hinweis darauf, dass in diesem Fall möglicherweise Handlungsoptionen nicht genutzt werden können. In manchen Situationen ergibt sich aus der Natur des Anliegens, dass auch bei erfolgter Anonymisierung Rückschlüsse auf die Person der Anliegeneinbringer*innen möglich sein können. Sollte dies nach Einschätzung der Ombudsperson der Fall sein, ist es sinnvoll, die Anliegeneinbringer*innen darauf hinzuweisen.

Beispielhaftes Muster eines Erstgesprächs:

  • Vorstellung und erster Überblick zum Thema.
  • Aktives Zuhören und gezieltes Stellen offener Fragen, um das Anliegen in vollem Umfang zu erfassen.
  • Paraphrasieren der wesentlichen Aspekte um herauszufinden, ob man das Anliegen richtig verstanden hat.
  • Erkundigung dazu, welche Stellen und Personen an der jeweils betroffenen Einrichtung (oder externe Beratungsstellen) bereits kontaktiert wurden.
  • Aufklärung über die Rolle der Ombudsstelle und darüber, was man an Unterstützungsleistungen anbieten kann.
  • Hinweis auf die Vertraulichkeit
  • Systemische Abschlussfrage.
  • Mündliche Vereinbarung über die nächsten Schritte.
    • Alternativ: Erteilen der Information und Abschluss des Anliegens

Quellen

 Justus-Liebig-Universität Giessen: Materialien zur Gesprächsführung. Online unter https://www.uni-giessen.de/de/org/admin/dez/c/personalentwicklung/weitere-angebote/dat/dat_jg_bar/gz_bar [zuletzt abgerufen am 22.06.2023].

Kolodej, Christa (2019): Strukturaufstellungen für Konflikte, Mobbing und Mediation. Vom sichtbaren Unsichtbaren. 2. erweiterte Auflage, Wiesbaden: Springer Gabler.

Kolodej, Christa & Proksch, Stephan (persönliche Kommunikation 2022). Unterlagen zum Kurs „Verhandlungsführung & Konfliktmanagement“ an der WU Executive Academy.

Specht, Catarina und Penland, Paige R. (2016). „Aktives Zuhören: Wer etwas zu sagen hat, muss zuhören können,“ in Zeit Online, online unter https://www.zeit.de/karriere/2016-02/aktives-zuhoeren-kommunikation-verbesserung [Stand: 17.02.2016].